Weißdorne

Die Weißdorne sind eine Pflanzengattung der Kernobstgewächse innerhalb der Familie der Rosengewächse. In den gemäßigten Klimazonen der Nordhalbkugel gibt es 200 bis 300 Arten. Der Verbreitungsschwerpunkt liegt in Nordamerika, insbesondere im östlichen Teil. In Europa werden etwa 22 Arten unterschieden, in Deutschland drei, deren Unterschiede meist nur von Fachleuten wahrgenommen werden. Da die Arten innerhalb der einzelnen Regionen leicht miteinander bastardieren, ist eine sichere Bestimmung schwierig.

Namensgebung

Der deutsche Trivialname Weißdorn weist entweder auf die weißen Blüten des besonders im Freistand üppig blühenden Strauchs und die vorhandenen Sprossdornen oder auf die helle Rinde im Gegensatz zur Schwarzdorn genannten Schlehe hin.

Der botanische Name Crataegus geht zurück auf griechisch κράταιγος. Mit diesem Namen bezeichnete der Naturphilosoph Theophrast eine Strauchart mit essbaren Früchten, die am Berg Ida in Kleinasien wuchs. Welche botanische Art mit diesem Namen gemeint war, ist aus dem Text nicht mehr zu klären, es handelte sich aber vermutlich um eine Weißdornart mit essbaren Früchten, zum Beispiel den Azaroldorn, möglicherweise aber auch um die Mispel. Das altgriechische krataiós bedeutet stark oder fest und bezieht sich auf das harte Holz dieser Pflanze.

Neben der zum wissenschaftlichen Standard gewordenen Bezeichnung Weißdorn gibt es landläufig eine Vielzahl von anderen deutschen Namen wie Hagedorn, Heckendorn, Weißheckdorn. regional auch Christdorn, Hagapfel, Hagäpfli, Heinzelmännerchen, Mehlbeerbaum, Mehlbeere, Mehldorn, Mehlkübeli, Mehlfässel, Mehlfässl, Mehlfässchen, Mehlwieken, Wibelken, Wubbelken, Wyßdorn, Zaundorn. Alle diese Namen beziehen sich auf die einheimischen Arten. Hag leitet sich dabei etymologisch von Hag ab.

Rotblühende Exemplare werden landläufig – besonders im Gartenbau – auch Rotdorn genannt. Man begegnet ihnen in letzter Zeit seltener, auch weil sie teils von Feuerbrand befallen wurden.

Beschreibung

Als Gattung sind Weißdorne vergleichsweise einheitlich und einfach zu bestimmen. Weißdorne finden sich in den gemäßigten Klimazonen der Nordhalbkugel in Wäldern und Gebüschen, kultiviert auch in Parks und Gärten. Die einzelnen Arten sind schwer zu unterscheiden, da sie sich zum einen in viele Unterarten und Varietäten aufspalten, zwischen denen es wiederum Übergangsformen gibt, und zum anderen sämtliche Arten – zumindest innerhalb der einzelnen Regionen – leicht und oft miteinander bastardieren. Je nach Zählung kann sich so die in Beschreibungen der Gattung angegebene Zahl der Arten bis auf ein Mehrfaches des oben angegebenen Zahlenbereichs von 200 bis 300 steigern.

Vegetative Merkmale

Weißdorn-Arten sind meist sommergrüne, selten immergrüne Sträucher oder kleine Bäume. Sie sind oft dicht verzweigt. Sie sind meist dornig, selten ohne Dornen. Ihre Rinde ist glatt, grün-braun bis dunkelbraun und im Alter schuppig-rissig. Die Stämme alter Bäume sind oft spannrückig Längswülstig und tief gefurcht. Ihr Holz ist hart und schwer. Die Knospen sind eiförmig oder fast kugelig.

Die wechselständig angeordneten Laubblätter sind in Blattstiel und Blattspreite gegliedert. Die Blattspreite ist einfach. Die Blattränder sind häufig auffällig gesägt, tief eingeschnitten oder gebuchtet, gelappt, selten glatt. Es sind Nebenblätter vorhanden.

Generative Merkmale

Die Blüten stehen in schirmrispigen Blütenständen zusammen, selten stehen die Blüten einzeln. Die zwittrigen Blüten sind radiärsymmetrisch und fünfzählig mit doppelter Blütenhülle. Die Blütenkronen weisen einen Durchmesser von 0.7 bis 2.5 Zentimetern auf. Die fünf auffälligen Kronblätter sind weiß, seltener rosafarben oder rot.

Die manchmal Beeren genannten, relativ kleinen Apfelfrüchte sind 0.7 bis 2.0 Zentimeter groß und normalerweise rot oder orangefarben, bei einigen Arten blau, schwarz oder gelb. Sie enthalten einen bis fünf aneinandergeballte Steinkerne. Ihr Fruchtfleisch ist meist trocken und mehlig, nur bei wenigen Arten auch saftig.

Systematik

In der externen systematische Einordnung der Gattung Weißdorn ist die Zuordnung zur Unterfamilie und zur Tribus unumstritten. Nach morphologischen und molekularen Ergebnissen sehr eng verwandt ist die Mispel. Die monotypische Gattung Mespilus wird nun sogar oft in die Gattung Crataegus mit einbezogen. dies ist aber umstritten. Wenn man der Auffassung folgt, wäre die Mispel eine weitere Weißdornart, dann Crataegus germanica K. Koch, in der Sektion Mespilus. Nächstverwandt zur Gattung der Weißdorne im weiteren Sinne ist, nach molekularen Daten, die morphologisch recht stark abweichende Gattung Amelanchier.

Als sehr schwierig hat sich dagegen die innere systematische Aufteilung der Gattung erwiesen, was in den 1940er Jahren W. H. Camp zur Schöpfung des Begriffs Crataegus-Problem veranlasste.

Das Crataegus-Problem

Die verschiedenen Pflanzengattungen haben unterschiedliche Neigungen, sich zu kreuzen. Ausgeprägt ist diese Neigung bei vielen Gattungen der Rosenartigen und bei diesen wiederum besonders beim Weißdorn. Unterschiedliche Weißdornarten, die miteinander in Kontakt kommen, kreuzen sich auch ohne menschliche Nachhilfe leicht. das trifft auch für Arten aus weit voneinander entfernten Regionen zu.

Aus einer Kreuzung hervorgegangene Weißdornexemplare sind häufig polyploid statt diploid. So finden sich beispielsweise in Mitteleuropa von allen sechs im entsprechenden Abschnitt beschriebenen Arten diploide Exemplare. Funde von polyploiden Exemplaren sind für Crataegus macrocarpa Hegetschw., Crataegus monogyna Jacq., Crataegus rhipidophylla Gand. und Crataegus subsphaericea Gand. beschrieben. Polyploide Weißdorne wiederum pflanzen sich häufig apomiktisch durch Agamospermie fort, so dass alle Nachkommen genetisch identische Klone der Mutterpflanze sind.

Bei der Benennung von Arten führt das zu einer Vielzahl von Problemen. So können sich als eigenständig angesehene Arten zum Beispiel als einzelne Kreuzungsexemplare erweisen oder als Klon-Populationen oder als Varianten einer anderen Art, die durch Einkreuzung und anschließende Selektierung erworbene artfremde Merkmale besitzt. Eine Überprüfung ist häufig schwierig. Einzelne Kreuzungsexemplare lassen sich durch Vermehrung und damit verbunden für gefestigte Arten nicht zu erwartende Merkmalsaufspaltung entlarven. seriöse Botaniker beschreiben mittlerweile auch keine neuen Arten nur anhand von Einzelnachweisen. Für Klon-Populationen und für gefestigte, durch Merkmals-Einkreuzung entstandene Unterarten sind diese Methoden nicht geeignet. Beide Varianten pflanzen sich merkmalsrein fort und beide bilden oft größere Populationen. Ein Hinweis kann die begrenzte Verbreitung einer Population sein, das ist jedoch weder als Ausschluss- noch als Einschlusskriterium eindeutig: Zum einen kann auch eine eigenständige Art nur begrenzt verbreitet sein, zum anderen werden beispielsweise in Nordamerika Klon-Stämme des Crataegus crus-galli L. mit großem Verbreitungsgebiet beschrieben.

Diese Umstände führen zu großen Unsicherheiten sowohl bei der Unterteilung der Gattung in Sektionen als auch bei der Bestimmung von Arten. Bis etwa 1920 neigten die Botaniker dazu, Zweifelsfälle als eigenständige Arten zu beschreiben. Mit dem Auftauchen von Hinweisen auf Hybridisierung und Polyploidie setzte dann ein Umdenken ein, das zu einer Überprüfung und starken Reduzierung der akzeptierten Arten führte. Die Ergebnisse sind nach wie vor stark umstritten. Am häufigsten finden sich nun Artenzahlen von um die 200. die Bandbreite der angegebenen Artenzahl reicht jedoch von 100 bis 1000. Verbesserte Ergebnisse dürften nun hauptsächlich noch durch genetische Vergleiche erreicht werden.

Phylogenie und Taxonomie

Typusart der Gattung Crataegus ist Crataegus oxyacantha L. Dies ist ein problematischer Name, der von verschiedenen Autoren im Lauf der Zeit unterschiedlich aufgefasst worden ist. Untersuchungen anhand des Typmaterials im Herbarium Linnés haben ergeben, dass es sich um eine Pflanze handelt, die später als Crataegus calycina subsp. curvisepala erneut beschrieben worden ist. Der Name Crataegus oxyacantha wurde aufgrund dieser Unklarheiten von der ICBN unterdrückt, er bezeichnet seither keine Art mehr. In der traditionellen Taxonomie wird die Gattung Weißdorn in ungefähr 15 Sektionen und diese wiederum in eine Vielzahl von Serien unterteilt. Die Abgrenzung der Sektionen und Serien ist dabei seit langem umstritten und nicht abschließend geklärt. Ältere Systeme wie das noch länger verwendete von Phipps und Kollegen 1988 sind dabei heute überholt und nur noch von wissenshistorischem Interesse, sie unterschied 15 Sektionen mit 40 Serien. Grundlage der modernen Gliederung ist das darauf aufbauende System von Phipps und Kollegen 2003. Demnach kommen 4 Sektionen mit gut 60 Arten in der Alten Welt vor, während in der Neuen Welt 11 Sektionen mit deutlich mehr als 100 Arten leben. Diese Gliederung wurde zu großen Teilen bei phylogenomischen Untersuchungen bestätigt. Als problematisch erwies sich allerdings die Gliederung der Artengruppen aus dem östlichen Nordamerika, die trotz substantieller morphologischer Unterschiede genetisch alle nahe verwandt sind. Dafür sind verschiedene Gründe denkbar, am wahrscheinlichsten ist aber eine lange zurückreichende, umfangreiche Hybridisierung von Arten verschiedener Sektionen untereinander. Für wenige stark abweichende Arten mit unklarer Zuordnung könne eine Entstehung durch erst kurz zurückliegende, Hybridisierung amerikanischer Arten mit eingeführten europäischen Weißdornen wahrscheinlich gemacht werden.

Die im Folgenden dargestellte Gliederung in Sektionen, die auf den genannten Quellen aufbaut, ist nicht gesichert, es kann an einigen Stellen in den kommenden Jahren noch Veränderungen geben. Die Gliederung in der Flora of North America ist vergleichbar. Alle europäischen Arten gehören dabei der Sektion Crataegus an:

  • Sektion Mespilus: Sie ist monotypisch, einzige Art die Mispel. Kaukasus, Kleinasien, Südosteuropa. alternativ als eigene Gattung Mespilus aufgefasst
  • Sektion Brevispinae: Sie ist monotypisch, einzige Art Crataegus brachyacantha. östliches Nordamerika..
  • Sektion Hupehenses: Sie ist monotypisch, einzige Art Crataegus hupehensis. Ostasien. nach den genetischen Daten möglicherweise zur Sektion Crataegus gehörig.
  • Sektion Cuneatae: Sie ist monotypisch, einzige Art Crataegus cuneata. Ostasien. bisher nicht genetisch getestet.
  • Sektion Crataegus. Eurasien und Nordamerika
  • Sektion Sanguineae. Ostasien
  • Sektion Douglasianae. westliches Nordamerika. Arten mit schwarz gefärbten Früchten.
  • Sektion Macacanthae. östliches Nordamerika. Die Serie Anomalae umfasst Arten, die als Hybride mit Arten aus anderen Sektionen entstanden sind.
  • Sektion Coccineae. östliches Nordamerika. Die artenreichste Klade.

Die Zusammenfassung aller nordamerikanischen Arten in einer gemeinsamen Sektion oder Untergattung Americanae wird heute, in dieser Form, nicht mehr vertreten. Allerdings verwenden einige Taxonomen diesen Namen weiter, um die untereinander vermutlich näher verwandten Sektionen des östlichen Nordamerika, der bisherigen, umstrittenen Sektionen Coccineae und Macacanthae, zu vereinen.