Passiflora incarnata

Passiflora incarnata ist eine in den südöstlichen USA heimische Pflanzenart, die zu der über 500 Arten umfassenden Familie der Passionsblumengewächse gehört. Zugleich stellt sie die Typusart der Gattung Passiflora dar, die mit mehr als 400 Arten die umfangreichste Gattung der Familie bildet. Die von christlichen Missionaren als Insignien der Passion gedeuteten Blütenmerkmale haben sich nicht nur in der wissenschaftlichen Gattungsbezeichnung, sondern auch dem Artnamen niedergeschlagen.

In den USA ist die essbare Früchte tragende Art auch als Maypop geläufig, im Deutschen wird sie gelegentlich als Winterharte Passionsblume oder Fleischfarbene Passionsblume bezeichnet. Passiflora incarnata zählt zu den frosthärtesten aller Passionsblumen und liefert das pharmazeutisch zum Beispiel in Tees oder Dragees genutzte Passionsblumenkraut. Die Beweislage für eine medizinische Wirkung beim Menschen durch klinische Studien ist bisher gering, aber es liegen langjährige klinische Erfahrungen vor. Im Tierversuch wurde eine direkte Wirkung auf den GABA-Rezeptor nachgewiesen, der eine große Rolle bei der Kontrolle von Angst und Stressreaktionen spielt. Für pharmakologische Wirkungen verantwortliche Substanzen sind noch nicht eindeutig identifiziert, werden jedoch in der Stoffgruppe der in den krautigen Pflanzenbestandteilen enthaltenen Flavonoide vermutet.

Der Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzen an der Universität Würzburg wählte Passiflora incarnata wegen ihres Wirkungsprofils und der langen Nutzungsgeschichte zur Arzneipflanze des Jahres 2011.

Beschreibung

Vegetative Merkmale

Passiflora incarnata ist ein immergrüner, ausdauernder Kletterstrauch. Der verholzende Stängel ist an jüngeren Teilen grün und im Querschnitt leicht eckig, an älteren Pflanzenteilen eher grau und rund. Die Art entwickelt 2 bis 6 Meter lange Triebe. Der Verankerung dienen runde, glatte, unverzweigte und am Ende korkenzieherartig gewundene Sprossranken, die den Blattachseln entspringen. Die netznervigen Laubblätter sind wechselständig angeordnet, tief dreiteilig gelappt und leicht gesägt. Ihre Länge und Breite beträgt etwa 6 bis 15 Zentimeter. Sie sind unbehaart oder fein behaart, dann am deutlichsten auf den Blattadern und dem Blattstiel. Die Blattstiele erreichen bis zu 8 Zentimeter Länge, sind furchig, oft verdreht und tragen im oberen Bereich zwei auffällige, höckerförmige Nektarien. Die Blattspreite trägt ebenfalls Nektarien. Die beiden 2 bis 8 Millimeter langen Nebenblätter sind borstenförmig und fallen frühzeitig ab.

Blüten

Die radiärsymmetrischen und fünfzähligen Blüten erreichen einen Durchmesser von 6 bis 8 Zentimeter. Sie stehen einzeln an bis zu 10 Zentimeter langen Stielen und werden von drei zugespitzten Hochblättern umgeben, an denen sich Nektarien befinden. Die fünf Kelchblätter sind an der Außenseite grünlich, innen weißlich, bis zu 3 Zentimeter lang und tragen eine kurze Granne. Die fünf Kronblätter sind weniger derb und etwas kürzer als die Kelchblätter. Meist sind die Kronblätter blassrosa. Ihre Farbe ist jedoch variabel: Es kommen auch rötlich-violette Tönungen vor, bei der forma alba sind sie weiß. Kelch- und Kronblätter bilden gemeinsam einen zehnblättrigen Kreis. Der für Passionsblumen typische Strahlenkranz innerhalb der Blütenkrone bildet eine Nebenkrone und besteht bei Passiflora incarnata aus etwa 100 fransenartigen, gewellten Fortsätzen. diese sind nach innen hin weißlich, nach außen rosa bis hellviolett mit dunklerer Bänderung.

Die fünf Staubblätter tragen gelbe Staubbeutel. Staubblätter und der in drei Narbenäste geteilte Griffel sitzen einem verlängerten säulenartigen Abschnitt auf, der als Mittelsäule oder Androgynophor bezeichnet wird. Der Fruchtknoten ist oberständig, die drei Fruchtblätter sind miteinander verwachsen.

Die Blütezeit erstreckt sich in der Regel von Juni bis September. Jede Blüte ist nur etwa einen Tag lang geöffnet, während die drei Hochblätter wesentlich langlebiger sind. Die Blüten von Passiflora incarnata sind in der Regel zwittrig, die Pflanzen bilden besonders bei schlechtem Ernährungszustand aber auch männliche Blüten aus. In diesem Fall sind zwar beide Geschlechter vorhanden, jedoch nur das männliche funktionsfähig.

Früchte und Samen

Die ovalen, gelblichen Früchte sind Beeren, die in der Form etwa Hühnereiern entsprechen. Ihre Länge differiert zwischen 4 und 10 Zentimetern. Die Reifung dauert etwa zwei bis drei Monate. Die darin enthaltenen zahlreichen Samen sind ausgereift dunkelbraun, grubig-punktiert, oval-abgeflacht, 5 bis 8 Millimeter lang und 2 bis 3 Millimeter breit. Die essbare, saftig-süße Pulpa wird durch schleimige Arilli gebildet, in welche die einzelnen Samen eingebettet sind.

Chromosomenzahl

Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 18.

Ökologie

Verbreitung und Standort

Passiflora incarnata ist eine von zwei nordamerikanischen Passionsblumenarten. neben ihr kommt dort nur noch die Gelbe Passionsblume vor. Die Heimat von Passiflora incarnata liegt in den südöstlichen USA, dort wird die Pflanze oder auch nur deren Frucht als Maypop bezeichnet. Weitere dortige englische Bezeichnungen sind Purple passionflower oder Passion vine. Die nördliche Verbreitungsgrenze verläuft durch die US-Bundesstaaten Missouri, Illinois, Indiana, Ohio und Pennsylvania. Im Westen erreicht sie Texas, Kansas und Oklahoma, im Süden Florida. Wird sie durch den Menschen verschleppt, kann sie sich in geeigneter Umgebung als invasive Art erweisen: So ist sie auf den Bermudas inzwischen verwildert. Auch auf den Bahamas, den Antillen, in Mexiko, Mittelamerika, Brasilien und Argentinien ist die Art mittlerweile zu finden.

Anbaugebiete für die pharmazeutische Verwendung befinden sich in Florida und Indien, in kleinerem Umfang auch in Italien und Spanien.

Passiflora incarnata bevorzugt sandige bis steinige, eher trockene Standorte und ist in den Verbreitungsgebieten besonders an Hecken, Straßenböschungen, Feld- und Lichtungsrändern zu finden. Zumindest für die Hälfte des Tages benötigt sie direkte Besonnung. Ausgewachsene Exemplare können Fröste bis zu etwa −15 °C überstehen, damit ist sie neben der Blauen Passionsblume und der Gelben Passionsblume die frosthärteste Art der Familie. Passiflora incarnata ist an ihren natürlichen Standorten nicht gefährdet.

Die Art ist in der Lage, sich durch unterirdische Wurzelausläufer vegetativ zu vermehren. Bei der Besiedlung gestörter Standorte überwiegt jedoch die sexuelle Reproduktion gegenüber der vegetativen.

Blütenökologie

Passiflora incarnata ist selbstinkompatibel, die Blüten einer Pflanze können sich also nicht selbst befruchten. Da sich die Nektarien der Blüten fast aller Vertreter der Gattung Passiflora in einer mit Zähnen verschlossenen Einsenkung des Blütenbodens befinden, welche das Androgynophor umgibt, sind sie nur für kräftige Insekten zugänglich. Als Bestäuber der Blüten fungieren häufig Holzbienen der Gattung Xylocopa. Diese müssen, um den Nektar vollständig auszubeuten, einen Kreis um das Androgynophor beschreiben. Passionsblumen und mit ihnen Passiflora incarnata gehören daher aus blütenbiologischer Sicht zum Typ der sogenannten Umlaufblumen. Darüber hinaus sind sie proterandrisch, was bedeutet, dass der Pollen vor Ausreifung des Stempels freigesetzt wird. Bei Blüten in frühem Blühzustand wird dabei der Rücken des Bestäubers mit Pollen bepudert, der dann bei Blüten im fortgeschrittenen Blühstadium an die nunmehr abgesenkten drei Narbenköpfe abgegeben werden kann.

Die Blüten von Passiflora incarnata werden auch gerne von Schmetterlingen besucht, die außerdem den Nektar der extrafloralen Nektarien im Blattbereich nutzen. dies gilt auch für Nachtschmetterlinge. Die extrafloralen Nektarien locken zudem Ameisen an, die durch ihre Anwesenheit den Befall der Pflanze durch Fraßfeinde reduzieren.

Inhaltsstoffe

Charakteristische Inhaltsstoffe der krautigen Pflanzenmasse von Passiflora incarnata stammen aus der Gruppe der Flavonoide. Hauptsächlich handelt es sich um von Apigenin und Luteolin abgeleitete C-Glycoside, etwa Isovitexin, Isoorientin und weitere verwandte Substanzen. Angaben zum Flavonoid-Gesamtgehalt schwanken – auch abhängig vom Analyseverfahren – zwischen 0.47 % und 3.91 % in der getrockneten Droge. Cumarin-Derivate, essentielle Fettsäuren sowie Ätherische Öle sind in Spuren nachgewiesen. Potenziell toxische Harman-Alkaloide sind, im Gegensatz zu früheren Aussagen nicht oder nur in vernachlässigbar geringen Spuren vorhanden. Ähnliches gilt für Maltol, das nach älteren Untersuchungen in kleinen Mengen enthalten sein soll, was neueren Studien zufolge aber wahrscheinlich ein Artefakt darstellt. Das in Passiflora incarnata nachgewiesene cyanogene Glykosid Gynocardin wurde bisher in keiner anderen Passionsblumenart gefunden, ist jedoch in unbedenklich geringer Menge enthalten. Daraus freigesetzte Blausäure konnte nicht nachgewiesen werden.

In der Wurzel, die bislang kaum auf Inhaltsstoffe untersucht wurde, obwohl sie den von amerikanischen Ureinwohnern medizinisch genutzten Pflanzenteil darstellt, sind Cumarine nachgewiesen worden. Die Früchte enthalten verschiedene Zucker und organische Säuren. Flavonglykoside wurden in Früchten und Samen in Spuren nachgewiesen.