Kommunikativer Konstruktivismus

Der kommunikative Konstruktivismus ist ein Ansatz in der soziologischen und kommunikations- beziehungsweise medienwissenschaftlichen Forschung. Er versteht sich als eine Weiterführung des Sozialkonstruktivismus. Betont letzterer jedoch vor allem die Bedeutung des Wissens beim gesellschaftlichen Aufbau einer Wirklichkeit, verschiebt der kommunikative Konstruktivismus den Akzent auf die Bedeutung der Kommunikation beim Aufbau der Wirklichkeit.

Nähere Bestimmung

Kommunikation wird im kommunikativen Konstruktivismus nicht allein als das Mittel verstanden, mit dem sich Menschen absichtsvoll Botschaften zukommen lassen und versuchen, andere zu steuern. Kommunikation ist eine menschliche Praxis, mit der zugleich Identität, Beziehung, Gesellschaft und Wirklichkeit hergestellt werden. Kommunikation dient in diesem Verständnis also nicht einfach der Übermittlung, sondern der Vermittlung. Ausgehend von einem solchen handlungs- beziehungsweise praxistheoretischen Kommunikationsbegriff rückt der kommunikative Konstruktivismus den Umstand in den Fokus, dass heutige Prozesse der Kommunikation in erheblichen Teilen medienvermittelt geschehen. Dies betrifft die personale Kommunikation zwischen Menschen ebenso wie die Kommunikation mit produzierten Medieninhalten und die Kommunikation in virtualisierten Umgebungen. In diesem Sinne ist die heutige kommunikative Konstruktion sozialer Wirklichkeit in erheblichen Teilen eine mediatisierte Konstruktion.

Ziele

Zum einen geht es dem kommunikativen Konstruktivismus darum, die kommunikativen Prozesse der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit zu erfassen und wissenschaftlich zu beschreiben – auch weil diese in der aktuellen Welt vielfältiger und bedeutsamer geworden sind. Zum anderen geht es dem kommunikativen Konstruktivismus um die Weiterentwicklung und Modifikation der sozialkonstruktivistischen Theorie. Eine solche Weiterentwicklung will der gewachsenen Bedeutung von kommunikativem Handeln, von Diskursen und von kommunikativer Praxis Rechnung tragen. Hierbei geht es darum, die verschiedenen gesellschaftlichen Kontexte, in denen die kommunikative Konstruktion erfolgt, sowohl in die theoretischen Grundlegungen wie in die empirischen Analysen mit aufzunehmen.

Geschichte

Der kommunikative Konstruktivismus lässt sich bis zu den Anfängen der phänomenologischen Sozialforschung rückverfolgen. Beispielsweise diskutierte bereits Alfred Schütz in seiner Publikation zum Sinnhaften Aufbau der sozialem Welt” die Rolle von Kommunikation für die Sozialbeziehungen in der sozialen Welt. Dabei thematisierte er bereits den Stellenwert nicht nur des Briefs, sondern auch des damals noch wenig verbreiteten Mediums Telefon für die Mittelbarkeit” von Sozialbeziehungen. Auch in der späteren Veröffentlichung von Peter L. Berger und Thomas Luckmann zur Sozialen Konstruktion vom Wirklichkeit” hat Kommunikation einen großen Stellenwert. So wird Sprache von den beiden Autoren als herausgehobene Objektivation” des Sozialen begriffen. Sie beschreiben das Alltagsleben als Rattern einer Konversationsmaschine”, die das notwendigste Vehikel der Wirklichkeitserhaltung” ist. Mit Sprache als zentraler Instanz der Herstellung des Sozialen setzte sich Thomas Luckmann auch in späteren Publikationen auseinander. Stimuliert durch konversationsanalytische Forschungen entwickelte er eine kommunikationstheoretische Zugangsweise, die über eine reine Sprachsoziologie hinausgeht und die er später selbst im Begriff der kommunikativen Konstruktion reflektiert. Die vielschichtige Rolle von Medien für die Prozesse der kommunikativen Konstruktion waren dabei aber ebenso wenig Gegenstand wie die Analyse komplexer diskursiver Muster. In dieser Entwicklung ist der kommunikative Konstruktivismus vom radikalen Konstruktivismus” in der Kommunikations- und Medienwissenschaft abzugrenzen. Gemeinsam teilen sie eine konstruktivistische Grundannahme, d. h. ein Verständnis, dass menschliche Wirklichkeit nicht gegeben ist, sondern in einem Prozess des Handelns beziehungsweise der Praxis hergestellt” wird. Der Hauptunterschied besteht darin, dass der radikale Konstruktivismus” ausgehend von der Annahme argumentiert, der Mensch sei ein kognitiv geschlossenes System. Entsprechend hat man es mit je subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen zu tun, die allerdings zur weiteren Umwelt viabel sind und entsprechend ein soziales Handeln ermöglichen. Im Zentrum des kommunikativen Konstruktivismus steht hingegen die Herstellung sozialer Wirklichkeit, was als ein subjektiver wie auch intersubjektiver Prozess begriffen wird.

Aktuelle Entwicklungen

Der kommunikative Konstruktivismus wird zurzeit vor allem in der wissenssoziologischen Theoriediskussion und in der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Forschung zu Medienwandel beziehungsweise Mediatisierung aufgegriffen und weitergeführt. Die Wissenssoziologie bemüht sich hierbei insbesondere um die Weiterentwicklung des Sozialkonstruktivismus durch den kommunikativen Konstruktivismus. In der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Diskussion geht es vor allem um die Frage, wie sich Prozesse der kommunikativen Konstruktion ändern, wenn diese medienvermittelt erfolgt. Für ein solches Unterfangen steht u. a. die Forschung zu den sich mit dem Medienwandel verändernden kommunikativen Figurationen” heutiger Gesellschaften und Kulturen.